Aufmerksamkeit und Bewusstsein

„Das Gehirn macht aus Psychologie Biologie. Nach dem Prinzip „Benütze es oder Du verlierst es“ (Use it or lose it) kommt es unter dem prägenden Einfluss individueller Umwelterfahrungen zum „Imprinting“, d.h. zur Herausbildung und Stabilisierung von Nervenzell-Netzwerken (Swaab, Neurobiol. Aging 12:317,1991). „Die neuro- anatomischen Feinstrukturen im Gehirn werden durch seelische Aktivität festgelegt.“ – Prof. Joachim Bauer

Was machen wir mit unserer Aufmerksamkeit? Ist sie vom endlosen Gedankenstrom des eigenen Denkens absorbiert? Sind wir in der Lage unsere Aufmerksamkeit bewusst auf die positiven Aspekte des Lebens zu richten oder laufen wir in die biologische Falle des Gehirns, uns hauptsächlich auf die dysfunktionalen Aspekte des Lebens zu fokussieren? Was verstärken wir, die positiven oder die negativen Aspekte des Lebens?  Die Entdeckung der Plastizität der Gehirnstrukturen durch die neurologische Forschung zeigt auf, dass Materie dem Bewusstsein folgt („matter follows mind and intent“) Worauf ich meine Aufmerksamkeit richte, das lass ich wachsen. Ganze Kulturen entstehen, weil sie ihre Hauptaufmerksamkeit auf spezifische Werte richten: Reines Überleben, Familie, Religion, Ehre, Nation, materiellen Reichtum, etc.. Das gleiche Schema findet sich im individuellen Bereich. Wenn ich meine Aufmerksamkeit auf Karriere, Macht oder Prestige richte, schaffe ich eine andere Wirklichkeit für mich und mein Umfeld, als wenn meinen Fokus auf innere Zufriedenheit, Gesundheit oder Harmonie setze.  Meine Nervenzell-Netzwerke werden sich anpassen und die entsprechend neurologischen Verdrahtungen im Gehirn produzieren. Sobald sich die ausgebildet haben, wird meine Wahrnehmung besonders die Aspekte hervorheben, die meinen Netzwerken entsprechen oder widersprechen.  So entstehen Polarität, Konflikte und schlussendlich Kriege. Wurden meine Netzwerke durch meine Aufmerksamkeit lange und intensiv genug verfestigt, entsteht aus ihnen ein Weltbild oder ein Wahnsystem. Alles was nicht in dieses Weltbild passt, stellt potentiell eine Bedrohung für die (meine) Wirklichkeit dar und sollte eliminiert werden…

Der Ausweg aus dieser kollektiven bzw. individuellen mentalen Falle erfolgt durch das Freisetzen objekt-ungebundener Aufmerksamkeit. Wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr von Objekten oder Begriffen besetzt ist , d.h. spontan auf sich selbst zurückfallen kann, wird sie frei. Daher spielt die Stille eine zentrale Rolle in der Befreiung der Aufmerksamkeit. Nur in der Stille kann sie auf sich selbst zurückfallen. Dies muss spontan passieren, d.h. man muss es geschehen  lassen, man kann es nicht geschehen machen. Es ist ein Spontan-Paradox. Ich kann nicht denken, dass ich meine Aufmerksamkeit frei lasse, weil dies nur ein anderer subtiler Gedanke ist, der wiederum auf subtile Weise meine Aufmerksamkeit bindet. Sobald es spontan passiert, tritt Stille ein. Sobald ich mir der Stille bewusst werde, ist die Aufmerksamkeit wieder gebunden. Völlige Stille führt zu einem Ich-freien Zustand. Hier löst sich die grundlegende Trennung und Gespaltensein des Menschen auf. Er verschmilzt mit der eigentlichen Natur des Lebens: der Einheit allen Bewusstseins. Handeln erfolgt jetzt nicht mehr aus dem Getrenntsein mit der Wirklichkeit, sondern aus dem Gefühl der Einheit mit allem.

Nur wenn es uns kollektiv gelingt den Geist von der Fixierung auf Teilwahrheiten, Ideologien oder limitierenden Denkschemata zu befreien, werden wir in der Lage sein, die anstehenden globalen Probleme gemeinsam lösen zu können. Der gemeinsame Sprung in eine „mentale Flexibilität“ jenseits aller Ismen und Doktrinen wird uns erst dialogfähig machen, sodass wir in der Lage sind mit unserer kollektiven Intelligenz die dringendsten, globalen Herausforderungen bewältigen zu können.