Eins mit sich, eins mit der Welt

Ich wollte nie die Algorithmen meiner Eltern wiederholen. Wenn ich in ihre Muster und Programme hineinspürte, fühlte ich Enge, Rigidität und Verlogenheit. Vor allem aber war da keine wirkliche Lebensfreude. Unter der Fassade der angepassten Persönlichkeit ahnte ich etwas Anderes, was in vielen spirituellen Traditionen das authentische Selbst genannt wird. Es drängte danach entdeckt, geboren und genährt werden. Die zahlreichen Begegnungen mit spirituellen Lehrern, sowie die Konfrontation mit eigenen Mustern und meinem Scheitern, stellten sich später als wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Suche heraus. Mao Tse Tung schreibt man den Satz zu: „Die Niederlage ist die Mutter des Erfolgs“. Erst das Scheitern ermöglicht uns, aus der kulturellen Trance aufzuwachen, allerdings nur dann, wenn wir nicht bei Selbstmitleid oder Jammern stehen bleiben, sondern uns aufmachen, tiefer zu gehen. Tiefer zu gehen bedeutete für mich, mich einerseits dem eigenen Schmerz zu stellen und andrerseits auf die Suche nach dem authentischen Selbst zu gehen. Heilung erfolgt durch das Eintauchen in die Dunkelheit. Das wussten nicht nur alle Heiler und Schamanen dieser Welt, sondern ist auch eine der fundamentalen Grundsätze der Psychotherapie. Erst wenn wir die eingefrorenen Schattenwesen der Vergangenheit erlösen, kann die Lebensenergie wieder fließen. Ansonsten wiederholen wir erbarmungslos die Algorithmen unserer Vorfahren. Viele ziehen permanente Geschäftigkeit vor, um den Dämonen der eigenen Vergangenheit zu entfliehen, aber eine vollgestopfte Agenda ist kein erfülltes Leben.Wenn das Licht gegen Ende des Jahres immer mehr abnimmt, geraten Viele in eine panikartige Geschäftigkeit. Alles muss noch, insbesondere vor Weihnachten, absolviert und in die kurzen, dunklen Tage hineingequetscht werden. Die Hektik dient vor allem dazu, sich mit Kräften gegen die Rhythmen der Natur zu stemmen, die im Winter immer tiefer nach Innen, in die Wurzeln streben. Jetzt ist die Zeit in den eigenen Wesenskern einzutauchen, die Stille und das Nichtstun zu erforschen. Dort lauert zwar vor allem die innere Unruhe, aber auch Heilung und Einheit mit sich selbst. Unsere abgespaltenen, ungehörten Aspekte der Seele wollen nun an die Oberfläche. Sie wollen gesehen und integriert werden. Das Geheimnis von Heilung (heil = ganz = eins) besteht darin, jede Form der Selbstverurteilung (Ur-Teilen = Spaltung) für das, was in der Tiefe unseres Seins lauert, als Seelenaspekte zu betrachten, die umarmt werden wollen. Was uns die Eltern nie haben geben können, nämlich bedingungslose Selbstliebe, können wir uns nur selber geben. „Die tiefere Bedeutung von Heilung und Meditation besteht darin, sich mit mit allen Aspekten der Seele zu verbinden“, sagte einst der große Schweizer Psychologe C.G. Jung. Das bedeutet vor allem die unerlösten Aspekte der Seele mit tiefer Akzeptanz und Liebe als das zu betrachten, was sie ursprünglich sind: kindliche Verarbeitungsstrategien für fehlende Liebe, rigide Bestrafungen oder mangelnde Wertschätzung. Der überwiegende Teil der Aktivitäten, die Menschen in unserer heutigen Gesellschaft entfalten, stammt nicht aus der kreativen Gestaltungsfreude des authentischen Selbst, sondern trägt die Signatur des Verdrängens. Deshalb erschafft sie auch immer wieder das gleiche Leiden. Wenn wir zur Ruhe kommen und den Blick in den Fluss unserer Seele wagen, wenn wir wieder authentische Gespräche führen und uns in unserer Nacktheit und Verletzlichkeit begegnen, passiert Heilung. Durch das Eintauchen und das Mit-Teilen unseres wahren, inneren Zustandes entkommen wir den Mustern vergangener Generation und werden eins. Eins mit uns selbst und eins mit der Welt.